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Politologe über Putschversuche »Es kann positive Veränderungen geben«

In Guinea haben am vergangenen Sonntag Spezialkräfte des Militärs den Präsidenten Alpha Condé gestürzt. Hier sagt der Politologe Jonathan Powell, wann Putschisten scheitern und wann sie ihr Ziel erreichen.
Von Heiner Hoffmann, Nairobi
aus DER SPIEGEL 37/2021
Jubel in der guineischen Hauptstadt Conakry, nachdem eine Spezialeinheit des Militärs Präsident Condé gestürzt hat

Jubel in der guineischen Hauptstadt Conakry, nachdem eine Spezialeinheit des Militärs Präsident Condé gestürzt hat

Foto:

CELLOU BINANI / AFP

Globale Gesellschaft

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Eingewickelt in die guineische Flagge zeigte sich Oberst Mamady Doumbouya im Staatsfernsehen. Wegen der grassierenden Korruption und Misswirtschaft im Land habe man das Zepter in die Hand genommen, verlautbarte der Kommandeur der Spezialeinheit GFS. Präsident Alpha Condé wurde im Zuge des Putsches in Gewahrsam genommen, sein Schicksal ist weiterhin ungewiss. Es gehe ihm immerhin gut, verkündeten Vertreter der westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas, nachdem sie Condé am Freitag besuchen durften.

Inzwischen versprach Doumbouya die Bildung einer »nationalen Einheitsregierung« innerhalb der kommenden Wochen. Die Vereinten Nationen und Ecowas haben den Putsch aufs Schärfste verurteilt. In der Hauptstadt Conakry kam es zu Jubelszenen – Präsident Condé hatte in den vergangenen Monaten im Land massiv an Rückhalt verloren, nachdem er die Verfassung hatte ändern lassen, um eine dritte Amtszeit zu ermöglichen. Proteste wurden brutal niedergeschlagen.

Foto: Jonathan M. Powell

Der US-Amerikaner Jonathan M. Powell ist Politikwissenschaftler an der Universität von Zentralflorida und forscht seit vielen Jahren zu Umsturzversuchen in aller Welt. Er betreibt auch eine Putsch-Datenbank . Er habe angefangen, sich für das Thema zu interessieren, nachdem er als Student einen Putsch in Thailand live im Fernsehen verfolgt habe, sagt er.

Der Politikwissenschaftler Jonathan Powell beschäftigt sich seit Jahren mit Militärputschen in aller Welt, er hat auch die Ereignisse in Guinea genau verfolgt. Im Interview erklärt er, warum die Aufständischen ihr Vorhaben umsetzen konnten.

SPIEGEL: War der Umsturz in Guinea ein Putsch wie aus dem Lehrbuch?

Powell: Absolut. Vor allem gibt es viele Parallelen zu anderen Putschen, die wir in letzter Zeit gesehen haben. Im letzten Jahr gab es mehr Umstürze als in den Vorjahren. Aber wir sind immer noch weit entfernt vom Niveau der 1990er-Jahre oder des Kalten Krieges. Der Ablauf in Guinea allerdings hat große Ähnlichkeit mit anderen Fällen. Es hat damit zu tun, dass Regierungen ihre eigene Legitimität untergraben, indem sie etwa ihre Amtszeit verlängern oder die Opposition unterdrücken. Das macht einen Umsturz wahrscheinlicher, denn es ist für das Militär leichter, einen Putsch zu rechtfertigen.

SPIEGEL: Wie gehen Putschisten in der Regel vor, um den Umsturz ins Werk zu setzen?

Powell: Zunächst brauchen sie einige wenige Kernpersonen, die gut genug vernetzt sind, um ihre Fühler in den Sicherheitsapparat auszustrecken, ohne dass jemand Verdacht schöpft. Am Anfang müssen sie sehr diskret vorgehen. Gleichzeitig brauchen sie die stillschweigende Zustimmung anderer wichtiger Akteure. In Guinea hat eine Spezialeinheit den Putsch angezettelt, aber es wäre sehr riskant von ihnen gewesen, vorher nicht das Einverständnis vom Rest der Armee einzuholen. Sie mussten deutliche Signale bekommen haben, dass der Putsch zumindest toleriert werden wird. Und am Ende brauchen Putschisten möglichst die Unterstützung der Bevölkerung, denn sie wollen ja keine Proteste auf der Straße haben.

SPIEGEL: In Guinea übernahmen die Putschisten auch sofort die Kontrolle über das Fernsehen.

Powell: Ja, traditionell ist die Kontrolle über die nationalen TV- oder Radiosender am wichtigsten. Sie müssen dadurch die anderen Sicherheitskräfte davon überzeugen, dass der Putsch bereits Erfolg hatte. WhatsApp und Instagram machen es allerdings etwas schwerer, weil ja trotzdem jeder weiter seine Botschaften senden kann.

SPIEGEL: Ist deswegen etwa der Putschversuch in der Türkei gescheitert – weil Präsident Tayyip Erdoğan sich per Telefon an CNN wenden konnte?

Powell: Ja, alle konnten online sehen, dass er nicht verhaftet wurde. So konnte Erdoğan seine Leute überzeugen, dass der Putsch dabei war zu scheitern oder schon längst gescheitert war. Das ist ein Desaster für die Anführer eines Umsturzes. Zudem gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass die Regierung schon im Vorfeld Wind von der Sache bekommen hatte. Aber als Erdoğans Interview veröffentlicht wurde, war das Schicksal der Aufständischen endgültig besiegelt.

Nach dem Sturz von Präsident Alpha Condé in Guinea zog das Militär durch die Straßen der Hauptstadt Conakry

Nach dem Sturz von Präsident Alpha Condé in Guinea zog das Militär durch die Straßen der Hauptstadt Conakry

Foto: Cellou Binani / AFP

SPIEGEL: Es gab in diesem Jahr bereits einen Militärputsch in Guineas Nachbarland Mali. Gibt es in Afrika tatsächlich mehr Umsturzversuche als anderswo?

Powell: Ich denke nicht, dass Putsche etwas spezifisch Afrikanisches sind. Aber es herrschen vor allem in Westafrika einige Bedingungen vor, die Umstürze wahrscheinlicher machen. In armen Ländern zum Beispiel ist das Risiko größer, und in Ländern mit Sicherheitsproblem oder Anführern, die nicht vollends demokratisch legitimiert sind. All das gibt es in Westafrika. Aber so etwas kommt nicht nur dort vor, auch anderswo. In Honduras zum Beispiel, oder Bolivien, wo Evo Morales gestürzt wurde.

SPIEGEL: Die Türkei ist im Vergleich dazu relativ stabil, und trotzdem gab es mindestens sechs Putschversuche. Wie erklären Sie sich das?

Powell: Ja, die Türkei ist aus verschiedenen Gründen ein relativ bizarrer Fall. Normalerweise passieren Putschversuche nicht in Ländern mit so einem starken Militär. Denn das macht es eigentlich schwerer, einen Umsturz zu koordinieren. Aber in der Türkei gibt es eine Art Tradition, dass sich das Militär selbst als Akteur begreift. Wenn es zu einem politischen Stillstand kommt, greifen sie ein und beseitigen ihn. Ähnlich ist es in Thailand, wo es in den vergangenen 100 Jahren ungefähr ein Dutzend Putsche gab. Auch dort gibt es keine vergleichbaren Probleme wie in Westafrika. Aber auch in Thailand sieht sich das Militär traditionell sehr stark in der Verantwortung.

In der Türkei ist 2016 ein Putschversuch gescheitert, es folgte eine Welle von Verhaftungen und Repressalien durch die Regierung von Präsident Erdoğan

In der Türkei ist 2016 ein Putschversuch gescheitert, es folgte eine Welle von Verhaftungen und Repressalien durch die Regierung von Präsident Erdoğan

Foto: Tolga Bozoglu/ dpa

SPIEGEL: Können Staatsstreiche positive Veränderungen hervorbringen?

Powell: Ich würde da vorsichtig bei der Wortwahl sein. Es kann positive Veränderungen nach einem Putsch geben, dafür existieren einige Beispiele. Zum Beispiel Portugal – nach dem Militärputsch in den Siebzigerjahren hat sich das Land innerhalb von drei Jahren zu einer stabilen Demokratie entwickelt und ist es bis heute. Ähnliches haben wir in Paraguay Ende der Neunzigerjahre gesehen, nach einem Umsturz wurden dort Wahlen abgehalten, seither ist das Land demokratisch regiert. Aber es ist wichtig zu verstehen, dass die Demokratie nicht unbedingt wegen des Putsches entsteht. Der Putsch ist oft nur Teil eines größeren Prozesses, etwa einer Massenmobilisierung gegen eine Diktatur. Es kann auch passieren, dass die Putschisten das Land gar nicht demokratisieren wollten, sie hatten nur das Ziel, den Anführer loswerden. Aber dann halten sie aufgrund des Drucks durch die Bevölkerung oder aus dem Ausland doch Wahlen ab.

SPIEGEL: Ist dieses Szenario auch in Guinea wahrscheinlich?

Powell: Ja, ich glaube nicht, dass das Militär lange an der Macht festhalten wird. Ich denke, auch in Guinea werden wahrscheinlich innerhalb eines Jahres Wahlen stattfinden, mindestens innerhalb der nächsten zwei Jahre. Die Frage ist: Welche Rolle spielt das Militär bei solchen Wahlen? In der Region war das bisher unterschiedlich. In einigen Fällen wurden Soldaten explizit vom Wahlprozess ausgeschlossen. In anderen Fällen haben Putschisten ihre Uniform gegen einen Anzug getauscht und dann die Wahl gewonnen. Das nennt sich dann zwar Zivilregierung, aber es ist eher eine Fassade. Ich bin gespannt, in welche Richtung es in Guinea nun gehen wird. Wahlen wird es aber auf jeden Fall geben. Internationale Akteure wie die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas werden sich stark dafür einsetzen, dass dies so früh wie möglich passiert.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

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